Freitag, 20. Juli 2012

Das Internierungslager Les Milles

Eine Autobahnausfahrt südlich von Aix-en-Provence, die unvermeidliche zone Industrielle, ein Bahnübergang und dann "inmitten dieser schönen Landschaft unsere häßliche Ziegelei". 


Von der schönen Landschaft ist nicht mehr viel zu sehen, aber die von Lion Feuchtwanger  in "der Teufel in Frankreich" erwähnte Ziegelei steht noch da. Nur die Hauptakteure aus Feuchtwangers Bericht, haben das Backsteingebäude längst verlassen. Mit unterschiedlichem Ziel und Schicksal. Deutsche Emigranten wie Feuchtwanger, Max Ernst oder Walter Hasenclever waren hier zwischen 1939 und 1940 interniert, mit bis zu 3000 Mitgefangenen auf engstem Raum. "Überall lagen zerbrochene Ziegelsteine, überall Ziegelstaub, sogar im kargen Essen..." schrieb Max Ernst. Ein Künstlerkollektiv unter den Insassen hinterließ großflächige Wandmalereien und Fresken mit Elementen aus Surrealismus, Moderne und Agitprop, die zynische Titel wie "Weinlese" und "Schlaraffenland" trugen.


Mit dem Vormarsch der Nationalsozialisten schwand auch die Hoffnung der Internierten. Der Kommandant stellte allen Freiwilligen einen Eisenbahnzug zur Verfügung, der sie an die Atlantikküste bringen sollte. Doch der Zug der Zweitausend musste unterwegs umkehren und die Insassen kamen in ein neues Lager bei Nimes, die Dagebliebenen wurden nach Dachau deportiert. Ab 1942 erreichte "die Endlösung" auch die jüdischen Familien in Südfrankreich und Les Milles wurde zum Deportationslager. Von hier aus führten die Sammeltransporte über Drancy nach Auschwitz.

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Fresken im ehemaligen Raum der Wachmannschaften

ehemalige Verladestelle






Donnerstag, 19. Juli 2012

The Fisher-Price Series




SALINE ROYALE, ARC-ET-SENANS

Die königliche Saline von Arc-et-Senans ist ein Industrieschauspiel von magischer Atmosphäre, vollkommener Symmetrie und ästhetischem Anspruch. Der Architekt Claude-Nicolas Ledoux folgte mit der Realisierung im Jahr 1775 seiner Idee des Bauens für die Sinne und der Suche nach der idealen Stadt. Niemand bleibt unberührt von dieser theatralischen Anlage mit halbkreisförmiger Anordnung, die den Lauf der Sonne beschreibt und trotzdem eine "vernünftige" Produktionsanlage war, die den Arbeitsprozess unter genaue Beobachtung und soziale Kontrolle stellte .


 

Das Haus des Direktors


Dachstuhl der östlichen Salzwekstatt


thematische Gestaltung der Gärten


Mittwoch, 18. Juli 2012

Abgeschlagen

Vor mir am Counter stehen zwei Kids in ihren unglaublichen Zwanzigern - Jorge Edwards hat mal geschrieben, dass man mit zwanzig immer unglaublich ist - Hosen auf halb acht, in T-Shirts von superdry und mit lässig-gelangweiltem Blick. Ich schätze sie sind von Beruf Sohn und arbeiten lieber tagsüber in gepflegter Gesellschaft an ihrem handicap, als sich in überfüllten Hörsälen irgendeinen trocken-theoretischen Stoff rein zu ziehen.


Ich sehe mich um. Den Großteil des Clubhauses nimmt ein gebogener Tresen ein, hinter dem ein zierliches Mädchen hockt, die Haare sportlich kurz gehalten und passend zur Umgebung mit Polohemd gekleidet. Links vom Empfangsbereich trennt eine Schiebewand den Lounge-Bereich ab. Dort stehen dicke bordeauxrote Kunstleder-Fauteuils um kleine Glastische gruppiert. An den Wänden hat jemand Sinnsprüche aus dem Golfleben der Prominenz verewigt. „Sag nicht, es ist schwer, fremde Leute kennen zu lernen - dann hast Du noch nie den falschen Golfball aufgehoben - Jack Lemmon.“ 

Die breite Fensterfront gibt den Blick frei auf die driving range, wo bereits früh morgens eine Reihe adretter Mittsechzigerinnen eimerweise Übungsbälle schlägt. Irgendwo dahinter liegt der 9-Loch-Kurs, den zu spielen allerdings die sogenannte Platzreife voraussetzt. Dahinter verbirgt sich der Nachweis einiger Übungsstunden mit dem Spielgerät nebst Prüfung sowie eine Einweisung in die Regeln und den Verhaltenskodex; sprich: keine Bluejeans, Hemd mit Kragen, Männer zuerst und dergleichen mehr. Ich drehe mich um, weil jemand in die Lounge getreten ist von dem ich annehme, dass es der Geschäftsführer ist. Ich bin hier für ein Vorstellungsgespräch.


Daniel M. Ist Anlagenmanager und nach eigener Auskunft ständig im Stress. Vermutlich steht er beruflich ähnlich stark unter Druck wie seine vormittäglichen Spielpartner – Ex-Fussballstars und blonde Tennislehrer in Teilzeit. Golf ist aber anscheinend ein probates Mittel gegen Termine und lästige Telefonanrufe, denn Daniel M. frönt dem Rasensport regelmäßig während der Arbeitszeit, z.B. wenn beim „after work challenge“ um 14 Uhr ein Teilnehmer ausfällt; dann springt der Chef eben ein – Ehrensache. Natürlich gehört das Spiel zum Anforderungsprofil der Angestellten. Ist schließlich eine ernste Sache und keinesfalls etwas für reiche Frührentner. Trotzdem fällt mir sofort der Satz von Werner Lorant ein: „Ich spiele kein Golf, ich bin noch sexuell aktiv.“


Ich wische den Gedanken und das Konterfei von Franz Beckenbauer vor meinem inneren Auge bei Seite und konzentriere mich auf das Gespräch. Ja, ich bin mir sicher, dass ich ein Händchen für die Neurosen der Premiumkunden habe – die Arztgattinnen, Immobilienmaklerinnen und Yachtbesitzer-Ehepaare. Ein paar Straßen weiter habe ich noch vor einigen Wochen so manchen von Ihnen die passenden Luxuskarossen mit Stern übergeben und dabei verzweifelt versucht, Navigation und Mobiltelefonverbindung Leuten zu erklären, die nicht einmal den Temperaturregler ihrer Klimaanlage verstehen.

Egal, ich bin frohen Mutes und lasse mir den Turnierbuchungsplan und die Tagesbelegung des Platzes erklären. Es gibt Kunden wie Harry, die könnten sich jeden morgen von ihrem PC aus eine Startzeit für eine Platzrunde, den sogenannten flight, buchen – theoretisch. Das empfiehlt sich, weil es einfach, reibungslos und schnell geht. Aber nicht mit Harry. Der möchte sich lieber jedes Mal auf's Neue das System von den zumeist jungen Counter-Aushilfen weiblicher Natur erklären lassen, um dann – charmant, charmant – doch die Startzeit manuell eintragen zu lassen. Hauptsache der Flirt am Tresen dauert lange genug, denn Harry hat zwar Zeit und Geld – auf beides muss das Mädel am Empfang leider größtenteils verzichten - aber verdammt alleine ist er auch.




In der Schrankküche im hinteren Bereich bereiten wir kleine Snacks zu, sagt Daniel M: belegte Aufbackbrötchen, Bockwurst, Pizza-Teilchen...Unglaublich, was die Kundschaft für einen schlechten Geschmack hat, denke ich bei mir. Die Zutaten sind von der billigsten Sorte, aber die so-tun-als-ob-Bohemiens schaufeln sich die tiefgekühlte Currywurst rein, als sei Weihnachten. Geld und Gusto fallen halt selten zusammen vom Himmel.
Apropos tiefgekühlte Currywurst und nur so zum gemeinsamen Verständnis: Da sind die maschinell zerteilten Formwürste bereits mit der fertigen Curry-Ketchup-Substanz einzeln ummantelt. In der Mikrowelle wird daraus dann ein optisch einwandfreier Imbissfraß. Aber das nur am Rande.

Daniel M. Hat jetzt keine Zeit mehr. Zwei seiner regelmäßigen Mitspieler sind schon an Loch 1 und er muss sich sputen. Alles weitere werde ich von seiner Kollegin, der Clubsekretärin erfahren, ruft er mir noch zu. Dann ist er raus. Ich blicke über DAS Grün vor dem Fenster, trinke meinen Café Latte aus und nehme meine Barbour-Jacke vom Hacken. Ein letzter Blick fällt auf die prominent besetzte Liste für das Preisturnier am Wochenende. Dem Gewinner winkt ein Startplatz bei einem Turnier in Katar - also dort, wo das Grün quasi zu Hause ist.

Freitag, 13. Juli 2012

Verpacken GT

"Schon mal gepackt?“

Der Meister schaut mich an und gibt mir ein paar Arbeitshandschuhe für die Schicht. Es ist 6.00 Uhr früh und ich stehe mit einem dutzend Kollegen in einer riesigen Betonfertighalle eines großen Logistikunternehmens, Bereich „Automotiv“. Hier werden von einem namhaften deutschen Autohersteller Teile angeliefert, die wir für Endkunden in Übersee auf Paletten umpacken. Auf die Frage des Meisters antworte ich nur „schon lange her, ist mein erster Tag heute“ und mit dieser knappen Aussage werde ich erst mal Mehmet zugeteilt, der hier jeden kennt und schon hinter jeder Kiste gehockt hat. Dank Mehmets Gespür gehen die ganz fiesen Sachen erst mal an mir vorbei und wir packen Gaspedalmodule, immer sieben in einer Reihe und fünf Reihen lang – insgesamt sechs Lagen pro Karton. Die Teile sind leicht und ich lege beschwingt los. Mehmet ist seit 27 Jahren in Deutschland, hat fünf Kinder, hätte aber eigentlich gerne zehn gehabt. Seine älteste Tochter ist Apothekerin geworden. Früher konnte er von seinem Job gut leben. „Junge, wir haben 3000 Mark verdient. Gutes Geld. Konntest Du immer ausgeben, ausgeben und hat immer gereicht. Aber heute...alles teuer geworden. Das doppelte.“ Er freut sich, das ich auch Kinder habe. „Die Deutschen haben nicht so gern Kinder, höchstens eins.“

So gehen die ersten zwei Stunden ziemlich rasch vorbei, dann gibt es zehn Minuten Pause. Vielleicht sollte ich mir das rauchen wieder angewöhnen. Hier scheint es, wenn auch nicht gerade Einstellungsbedingung, so doch irgendwie verpflichtend zu sein. Meine Kollegen rauchen alle – ausnahmslos.
Fingerzeig
Wir gehen kurz aus der Halle, auch der Meister und die Kommissioniererin Annette Z., eine hagere, tabakgraue Mittvierzigerin in Latzhosen, die wie fünfundsechzig plus aussieht und für das „schießen“ der Ware zuständig ist, das heißt Annette scannt den Strichcode der fertigen Paletten und behält die Übersicht.
Nach der Pause erwischt es auch Mehmet und mich. Vor uns stehen „Radträger rechts“. Mehmet macht eine entschuldigende Geste, denn die Dinger sind einigermaßen schwer, unförmig und blöd zu packen. Ich komme schnell dahinter. Ständig muss man diese Druckguss-Rohlinge mit Gewalt in die passende Position in der Kiste drücken. Mir schmerzt die Schulter und das ewige Bücken schlägt auf die Bandscheiben. Glücklicherweise naht die nächste Unterbrechung: QS – Qualitätssicherung. Einmal in der Woche müssen sich alle Kollegen kurz die Grafiken und Statistiken zu Beschwerden, Irrläufern und Beschädigungen anhören. Am Ende des Vortrags sind wir im Soll und auf dem Weg die Zielvorgaben zu unterlaufen. Also wieder an die Arbeit. 
Immerhin gilt hier kein Akkord und es drückt keiner auf das Tempo. So kann man sich immer wieder kurz verschnaufen und ein paar Ausgleichsübungen für die geschundenen Gelenke machen. Das ging auch schon mal anders. Als ich in meinem früheren Leben einst für eine Brauerei 40-Fuß-Container mit Bierpaletten für den Export vollstopfte, machten sich einige kaputte Kollegen einen Sport daraus, im Wettstreit möglichst viele Container pro Schicht zu schaffen. „Waas?, ihr seit erst beim Zweiten? Wir machen heute fünf!“ Den Arbeitgeber hat es gefreut.
abgespaced

Davon sind wir hier Gott sei Dank weit entfernt. Um 10 Uhr ist Mittag. Ich stelle fest, dass ich viel zu wenig zu essen mit habe und muss mir meine Brote sorgsam einteilen. Da geht es Manfred mit seinen fünf gekochten Eiern zu kaltem Kotelett deutlich besser. Der Kaffee aus dem Automaten kostet dafür nur 10 Cent – und schmeckt auch so. Ich nehme ihn mit raus vor die Halle und genieße die frische Luft. Innen ist es stickig und gegen zwölf läuft mir das Wasser nur so herunter. Außerdem schwitze ich erbärmlich in meinen Arbeitsschuhen und die Hände tun mir weh. Es kommt der nahe liegende Gedanke: Ich packe das nicht!


Doch es warten noch  kistenweise Ausrückhebel. Heinz will mich aufmuntern, aber leider kann ich ihn schwer verstehen, denn auf Grund seiner nur noch rudimentär vorhandenen Zähne, ist die Aussprache gewöhnungsbedürftig. Aber Heinz ist herzensgut und schafft richtig was weg, mindestens die Hälfte meiner Ausrückhebel gleich mit.  Alle halbe Jahr wird sein Vertrag bei einer Leihfirma verlängert und nach dem dritten Mal fliegt er raus, nur um drei Monate später wieder eingestellt zu werden – befristet natürlich. Das so etwas überhaupt erlaubt ist. In Bremerhaven hatte Heinz mal einen richtig guten Job – Autoverladung. Aber fünf Kollegen, die mit ihm zusammen eingestellt wurden, konnten bei den PS-Boliden ihren Gasfuß nicht unter Kontrolle halten und nach drei Abmahnungen- weil sie mit hundert Sachen über das Gelände gerast waren - wurde den ganzen Leihmitarbeitern gekündigt. Einer für alle, alle für einen. Jetzt ist Heinz wieder hier und froh, überhaupt Arbeit zu haben. 


Unter den Mitarbeitern geht es rau aber herzlich zu. Packer und Staplerfahrer werden zwar keine Freunde mehr – jeder hält den anderen für blind und unfähig – aber im Großen und Ganzen lässt es sich auch als „Neuer“ aushalten. Gegen Ende der Schicht gibt es wieder Gaspedalmodule und Jochen erzählt noch einen Witz: „Kommt ein Mann vom Arzt mit der Nachricht, dass er drei Eier hat. Der Mann ist überglücklich und um seinen Gegenüber in der Straßenbahn in ein Gespräch zu verwickeln, sagt er: Zusammen haben wir fünf Eier. Wieso, sagt der andere Mann, haben sie etwa nur eins?“ Ich denke an Manfreds fünf Eier und dann ist Schluss. Halle fegen, die Plätze für die Spätschicht vorbereiten, noch ein paar Minuten abhängen, ausstempeln und gehen. Jetzt strömen von überall her die Kollegen aus den Hallen  zu den Parkplätzen und Haltestellen. Manch einer wird abgeholt und bei jedem hundertsten Mitarbeiter blicken die Pförtner auch in die Taschen und Rucksäcke, ob nicht doch einer ein Gaspedalmodul entwendet hat.