Sprung
in die Vergangenheit
Zu
Besuch auf der olympischen Großschanze in
Saint-Nizier-du-Moucherotte
Es ist heiß, die Luft
flirrt und kein Lüftchen regt sich. Insekten sirren
und summen um die Wette, durch Schritte aufgescheuchte Eidechsen
unterbrechen kurz ihr Sonnenbad. Kaum vorstellbar, dass dieser
sonnenverwöhnte Hang einst tausenden von Schaulustigen im Winter als
Tribüne diente. Wir stehen im Auslaufbereich der olympischen
Großschanze in Saint-Nizier-du-Moucherotte, einem kleinen
Wintersportort im Vercors-Gebirge.
1968 fanden die
olympischen Winterspiele in Grenoble, im französischen Département
Isère statt. Zum ersten mal gab es mit dem stilisierten Skiläufer
„Schuss“ ein offizielles Maskottchen, farbige Fernsehbilder auf
dem heimischen Bildschirm und eine bisher ungekannte
Dezentralisierung bei den Austragungsstätten.
Und so hatte man im
Vorfeld beschlossen, das prestigeträchtige Springen von der
Großschanze nicht in Autrans stattfinden zu lassen, wo sich bereits
die Normalschanze befand, sondern eben hier oben, nur 17 km von
Grenoble entfernt, in 1200 Metern Höhe. Die bessere Erreichbarkeit
und die traumhafte Lage mit Blick auf die Stadt sollten deutlich mehr
Zuschauer mobilisieren. Zudem
erwies sich das Gelände unterhalb der „trois pucelles“ als
windgeschützt und schneesicher. Die Planung der neuen
Dauphine-Schanze übernahm der französische Architekt Pierre Dalloz,
unterstützt von seinem deutschen Kollegen Heini Klopfer und im Juli
1966 begannen die Bauarbeiten an dem 5.9 Millionen Francs teuren
Projekt.
Während
der Wettbewerbe kamen bis zu 70.000 Zuschauer nach
Saint-Nizier-du-Moucherotte. Olympisches Gold gewann der Russe
Vladimir Belussov mit einer Weite von 101,5 Metern. Den Schanzenrekord aus dem Jahr
1981 hält der Norweger Roger Ruud mit 111 Metern. Da war die Schanze
bereits zur K112 umgebaut und stand für kurze Zeit sogar im
Weltcup-Kalender. Benutzt wurde sie über die Jahre dennoch kaum und
seit 1990 ist die Anlage gesperrt und verfällt. Der Beton ist
brüchig, die Anlaufkonstruktion marode und sowohl die Kosten für
einen Abriss als auch für den Wiederaufbau sind zu teuer. Der
ehemalige Austragungsort wird mehr und mehr zum Ausgrabungsort.
Aber
man kann ihn noch spüren, den olympischen Geist von einst. Zwar ist
die Tribüne überwuchert, die elektronische Anzeigetafel ein
verrostetes Stahlskelett im Wald und der Schanzentisch eingebrochen,
doch wenn man kurz die Augen schließt und meint den tosenden Beifall
aus der Vergangenheit zu hören, sie wieder öffnet und einem beim
Blick auf die winzigen Häuser von Grenoble tief unten die Knie weich
werden, dann möchte man fliegen - weit, weit hinaus...