Dienstag, 25. September 2012


Sprung in die Vergangenheit

Zu Besuch auf der olympischen Großschanze in Saint-Nizier-du-Moucherotte

Es ist heiß, die Luft flirrt und kein Lüftchen regt sich. Insekten sirren und summen um die Wette, durch Schritte aufgescheuchte Eidechsen unterbrechen kurz ihr Sonnenbad. Kaum vorstellbar, dass dieser sonnenverwöhnte Hang einst tausenden von Schaulustigen im Winter als Tribüne diente. Wir stehen im Auslaufbereich der olympischen Großschanze in Saint-Nizier-du-Moucherotte, einem kleinen Wintersportort im Vercors-Gebirge.


1968 fanden die olympischen Winterspiele in Grenoble, im französischen Département Isère statt. Zum ersten mal gab es mit dem stilisierten Skiläufer „Schuss“ ein offizielles Maskottchen, farbige Fernsehbilder auf dem heimischen Bildschirm und eine bisher ungekannte Dezentralisierung bei den Austragungsstätten.




Und so hatte man im Vorfeld beschlossen, das prestigeträchtige Springen von der Großschanze nicht in Autrans stattfinden zu lassen, wo sich bereits die Normalschanze befand, sondern eben hier oben, nur 17 km von Grenoble entfernt, in 1200 Metern Höhe. Die bessere Erreichbarkeit und die traumhafte Lage mit Blick auf die Stadt sollten deutlich mehr Zuschauer mobilisieren. Zudem erwies sich das Gelände unterhalb der „trois pucelles“ als windgeschützt und schneesicher. Die Planung der neuen Dauphine-Schanze übernahm der französische Architekt Pierre Dalloz, unterstützt von seinem deutschen Kollegen Heini Klopfer und im Juli 1966 begannen die Bauarbeiten an dem 5.9 Millionen Francs teuren Projekt.



Während der Wettbewerbe kamen bis zu 70.000 Zuschauer nach Saint-Nizier-du-Moucherotte. Olympisches Gold gewann der Russe Vladimir Belussov mit einer Weite von 101,5 Metern. Den Schanzenrekord aus dem Jahr 1981 hält der Norweger Roger Ruud mit 111 Metern. Da war die Schanze bereits zur K112 umgebaut und stand für kurze Zeit sogar im Weltcup-Kalender. Benutzt wurde sie über die Jahre dennoch kaum und seit 1990 ist die Anlage gesperrt und verfällt. Der Beton ist brüchig, die Anlaufkonstruktion marode und sowohl die Kosten für einen Abriss als auch für den Wiederaufbau sind zu teuer. Der ehemalige Austragungsort wird mehr und mehr zum Ausgrabungsort.






Aber man kann ihn noch spüren, den olympischen Geist von einst. Zwar ist die Tribüne überwuchert, die elektronische Anzeigetafel ein verrostetes Stahlskelett im Wald und der Schanzentisch eingebrochen, doch wenn man kurz die Augen schließt und meint den tosenden Beifall aus der Vergangenheit zu hören, sie wieder öffnet und einem beim Blick auf die winzigen Häuser von Grenoble tief unten die Knie weich werden, dann möchte man fliegen - weit, weit hinaus...