Dienstag, 5. Februar 2013

In Comarruga und anderswo


Eine Hommage an Paul Theroux


Nur wenige Meter trennen die Eisenbahnschienen von dem schmalen Streifen Sand. Ich habe es nicht versucht, aber vielleicht ist es möglich, gleichzeitig mit den Füßen im Wasser und dem Kopf auf den Gleisen zu liegen. Appartement-Blocks mit bröckelnden Fassaden drängen sich dahinter, die rostigen Balkone seewärts gewandt.



Es ist ein verhangener Novembertag an der Costa Dorada. Off-Season. Der Strand ist braun und das Meer grau wie Stahl. Alle Orte menschenleer, nur die Werbeschilder klappern im Wind und verheißen unentwegt eine lebendige Zukunft mit Besuchern, Badegästen, fröhlichem Lärm und bunten Auslagen. Aber die discotecas und Clubs haben geschlossen.






Ich gehe ein wenig herum, unentschlossen, was ich tun soll und betrete schließlich die einzige Bar, die geöffnet hat. Außer mir sind da noch der Wirt und ein Herr um die sechzig, akkurat frisiert und in einem alten aber tadellosen Anzug. Er starrt verloren in seinen Café, während im Fernseher eine Verkaufssendung für Dampfbügeleisen, Haartrockner und Bauch-Weg-Trainer läuft.


Nicht gerade viel los um diese Zeit“, sage ich zu mir selbst und irgendwie auch zu dem Wirt im braunen Polyester-Hemd, der hinter der Theke Gläser spült, die keiner braucht. 
Nein.“
Er sieht mich ausdruckslos an, wendet sich dann dem Fernsehprogramm zu und murmelt:
Haben hier sonst mehr Ausländer gehabt. Auch im Winter.“
Ich frage ihn, warum die Gäste ausbleiben.
Die Krise“, sagt er. „Alle wollen nur noch verkaufen. Haben Sie überall die Schilder gesehen?“
Habe ich. For Sale mit Telefonnummer an jedem dritten Balkon. Hotelkästen starren mit Fenstern wie leere Augenhöhlen. Papierfetzen im Wind, kaum Verkehr, keine Passanten – nichts.



Paul Theroux nannte die spanische Mittelmeerküste in seinem Reisebuch The Pillars of Hercules (dt. An den Gestaden des Mittelmeers) „bungaloid in the extreme“. Ich habe seine Beschreibungen der „cut-price colonization“ im Gedächtnis, angesichts der Retorten-Siedlungen und Pseudo-Stuck-Villen, der Marinas und der zum verwechseln ähnlichen Appartementanlagen. Zwanzig Jahre danach seinen Fußspuren folgend, finde ich diese Orte mühelos, auch wenn es nicht dieselben sind. 





Bei Sonnenschein und voller Urlauber mag das Monster zugänglich und fast milde erscheinen. Um diese Jahreszeit aber, zeigt es seine ganze Brutalität und Feindseligkeit. Der gewaltsame Sprung in die Moderne des Massentourismus unter Franco ist ein Alptraum. Solche Orte existieren nur für Touristen. Ohne diese werden sie zur Kulisse und sind stumme Zeugen der Leere und der Auslöschung der Landschaft. Niemand geht hier zur Arbeit oder seinem Tagwerk nach, nicht einmal ein Hund wird ausgeführt. Es gibt keine Lotterielose zu kaufen, keine Früchte und keine Pornohefte. Nur Immobilien.




Gertrude Stein sagte einst über Mallorca: „A Paradise – if you can stand it.“
Das kann man getrost übernehmen.
Ich stehe mit dem Rücken zum Beton und schaue auf die Wellen. Was bleibt ist das Meer.
Paul Theroux hätte sich aufgrund dieser Erkenntnis ein Sardinen-Sandwich und eine Zugfahrkarte gekauft und wäre weiter gereist.
So wie ich jetzt auch...