Freitag, 13. Juli 2012

Verpacken GT

"Schon mal gepackt?“

Der Meister schaut mich an und gibt mir ein paar Arbeitshandschuhe für die Schicht. Es ist 6.00 Uhr früh und ich stehe mit einem dutzend Kollegen in einer riesigen Betonfertighalle eines großen Logistikunternehmens, Bereich „Automotiv“. Hier werden von einem namhaften deutschen Autohersteller Teile angeliefert, die wir für Endkunden in Übersee auf Paletten umpacken. Auf die Frage des Meisters antworte ich nur „schon lange her, ist mein erster Tag heute“ und mit dieser knappen Aussage werde ich erst mal Mehmet zugeteilt, der hier jeden kennt und schon hinter jeder Kiste gehockt hat. Dank Mehmets Gespür gehen die ganz fiesen Sachen erst mal an mir vorbei und wir packen Gaspedalmodule, immer sieben in einer Reihe und fünf Reihen lang – insgesamt sechs Lagen pro Karton. Die Teile sind leicht und ich lege beschwingt los. Mehmet ist seit 27 Jahren in Deutschland, hat fünf Kinder, hätte aber eigentlich gerne zehn gehabt. Seine älteste Tochter ist Apothekerin geworden. Früher konnte er von seinem Job gut leben. „Junge, wir haben 3000 Mark verdient. Gutes Geld. Konntest Du immer ausgeben, ausgeben und hat immer gereicht. Aber heute...alles teuer geworden. Das doppelte.“ Er freut sich, das ich auch Kinder habe. „Die Deutschen haben nicht so gern Kinder, höchstens eins.“

So gehen die ersten zwei Stunden ziemlich rasch vorbei, dann gibt es zehn Minuten Pause. Vielleicht sollte ich mir das rauchen wieder angewöhnen. Hier scheint es, wenn auch nicht gerade Einstellungsbedingung, so doch irgendwie verpflichtend zu sein. Meine Kollegen rauchen alle – ausnahmslos.
Fingerzeig
Wir gehen kurz aus der Halle, auch der Meister und die Kommissioniererin Annette Z., eine hagere, tabakgraue Mittvierzigerin in Latzhosen, die wie fünfundsechzig plus aussieht und für das „schießen“ der Ware zuständig ist, das heißt Annette scannt den Strichcode der fertigen Paletten und behält die Übersicht.
Nach der Pause erwischt es auch Mehmet und mich. Vor uns stehen „Radträger rechts“. Mehmet macht eine entschuldigende Geste, denn die Dinger sind einigermaßen schwer, unförmig und blöd zu packen. Ich komme schnell dahinter. Ständig muss man diese Druckguss-Rohlinge mit Gewalt in die passende Position in der Kiste drücken. Mir schmerzt die Schulter und das ewige Bücken schlägt auf die Bandscheiben. Glücklicherweise naht die nächste Unterbrechung: QS – Qualitätssicherung. Einmal in der Woche müssen sich alle Kollegen kurz die Grafiken und Statistiken zu Beschwerden, Irrläufern und Beschädigungen anhören. Am Ende des Vortrags sind wir im Soll und auf dem Weg die Zielvorgaben zu unterlaufen. Also wieder an die Arbeit. 
Immerhin gilt hier kein Akkord und es drückt keiner auf das Tempo. So kann man sich immer wieder kurz verschnaufen und ein paar Ausgleichsübungen für die geschundenen Gelenke machen. Das ging auch schon mal anders. Als ich in meinem früheren Leben einst für eine Brauerei 40-Fuß-Container mit Bierpaletten für den Export vollstopfte, machten sich einige kaputte Kollegen einen Sport daraus, im Wettstreit möglichst viele Container pro Schicht zu schaffen. „Waas?, ihr seit erst beim Zweiten? Wir machen heute fünf!“ Den Arbeitgeber hat es gefreut.
abgespaced

Davon sind wir hier Gott sei Dank weit entfernt. Um 10 Uhr ist Mittag. Ich stelle fest, dass ich viel zu wenig zu essen mit habe und muss mir meine Brote sorgsam einteilen. Da geht es Manfred mit seinen fünf gekochten Eiern zu kaltem Kotelett deutlich besser. Der Kaffee aus dem Automaten kostet dafür nur 10 Cent – und schmeckt auch so. Ich nehme ihn mit raus vor die Halle und genieße die frische Luft. Innen ist es stickig und gegen zwölf läuft mir das Wasser nur so herunter. Außerdem schwitze ich erbärmlich in meinen Arbeitsschuhen und die Hände tun mir weh. Es kommt der nahe liegende Gedanke: Ich packe das nicht!


Doch es warten noch  kistenweise Ausrückhebel. Heinz will mich aufmuntern, aber leider kann ich ihn schwer verstehen, denn auf Grund seiner nur noch rudimentär vorhandenen Zähne, ist die Aussprache gewöhnungsbedürftig. Aber Heinz ist herzensgut und schafft richtig was weg, mindestens die Hälfte meiner Ausrückhebel gleich mit.  Alle halbe Jahr wird sein Vertrag bei einer Leihfirma verlängert und nach dem dritten Mal fliegt er raus, nur um drei Monate später wieder eingestellt zu werden – befristet natürlich. Das so etwas überhaupt erlaubt ist. In Bremerhaven hatte Heinz mal einen richtig guten Job – Autoverladung. Aber fünf Kollegen, die mit ihm zusammen eingestellt wurden, konnten bei den PS-Boliden ihren Gasfuß nicht unter Kontrolle halten und nach drei Abmahnungen- weil sie mit hundert Sachen über das Gelände gerast waren - wurde den ganzen Leihmitarbeitern gekündigt. Einer für alle, alle für einen. Jetzt ist Heinz wieder hier und froh, überhaupt Arbeit zu haben. 


Unter den Mitarbeitern geht es rau aber herzlich zu. Packer und Staplerfahrer werden zwar keine Freunde mehr – jeder hält den anderen für blind und unfähig – aber im Großen und Ganzen lässt es sich auch als „Neuer“ aushalten. Gegen Ende der Schicht gibt es wieder Gaspedalmodule und Jochen erzählt noch einen Witz: „Kommt ein Mann vom Arzt mit der Nachricht, dass er drei Eier hat. Der Mann ist überglücklich und um seinen Gegenüber in der Straßenbahn in ein Gespräch zu verwickeln, sagt er: Zusammen haben wir fünf Eier. Wieso, sagt der andere Mann, haben sie etwa nur eins?“ Ich denke an Manfreds fünf Eier und dann ist Schluss. Halle fegen, die Plätze für die Spätschicht vorbereiten, noch ein paar Minuten abhängen, ausstempeln und gehen. Jetzt strömen von überall her die Kollegen aus den Hallen  zu den Parkplätzen und Haltestellen. Manch einer wird abgeholt und bei jedem hundertsten Mitarbeiter blicken die Pförtner auch in die Taschen und Rucksäcke, ob nicht doch einer ein Gaspedalmodul entwendet hat.


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