Mittwoch, 18. Juli 2012

Abgeschlagen

Vor mir am Counter stehen zwei Kids in ihren unglaublichen Zwanzigern - Jorge Edwards hat mal geschrieben, dass man mit zwanzig immer unglaublich ist - Hosen auf halb acht, in T-Shirts von superdry und mit lässig-gelangweiltem Blick. Ich schätze sie sind von Beruf Sohn und arbeiten lieber tagsüber in gepflegter Gesellschaft an ihrem handicap, als sich in überfüllten Hörsälen irgendeinen trocken-theoretischen Stoff rein zu ziehen.


Ich sehe mich um. Den Großteil des Clubhauses nimmt ein gebogener Tresen ein, hinter dem ein zierliches Mädchen hockt, die Haare sportlich kurz gehalten und passend zur Umgebung mit Polohemd gekleidet. Links vom Empfangsbereich trennt eine Schiebewand den Lounge-Bereich ab. Dort stehen dicke bordeauxrote Kunstleder-Fauteuils um kleine Glastische gruppiert. An den Wänden hat jemand Sinnsprüche aus dem Golfleben der Prominenz verewigt. „Sag nicht, es ist schwer, fremde Leute kennen zu lernen - dann hast Du noch nie den falschen Golfball aufgehoben - Jack Lemmon.“ 

Die breite Fensterfront gibt den Blick frei auf die driving range, wo bereits früh morgens eine Reihe adretter Mittsechzigerinnen eimerweise Übungsbälle schlägt. Irgendwo dahinter liegt der 9-Loch-Kurs, den zu spielen allerdings die sogenannte Platzreife voraussetzt. Dahinter verbirgt sich der Nachweis einiger Übungsstunden mit dem Spielgerät nebst Prüfung sowie eine Einweisung in die Regeln und den Verhaltenskodex; sprich: keine Bluejeans, Hemd mit Kragen, Männer zuerst und dergleichen mehr. Ich drehe mich um, weil jemand in die Lounge getreten ist von dem ich annehme, dass es der Geschäftsführer ist. Ich bin hier für ein Vorstellungsgespräch.


Daniel M. Ist Anlagenmanager und nach eigener Auskunft ständig im Stress. Vermutlich steht er beruflich ähnlich stark unter Druck wie seine vormittäglichen Spielpartner – Ex-Fussballstars und blonde Tennislehrer in Teilzeit. Golf ist aber anscheinend ein probates Mittel gegen Termine und lästige Telefonanrufe, denn Daniel M. frönt dem Rasensport regelmäßig während der Arbeitszeit, z.B. wenn beim „after work challenge“ um 14 Uhr ein Teilnehmer ausfällt; dann springt der Chef eben ein – Ehrensache. Natürlich gehört das Spiel zum Anforderungsprofil der Angestellten. Ist schließlich eine ernste Sache und keinesfalls etwas für reiche Frührentner. Trotzdem fällt mir sofort der Satz von Werner Lorant ein: „Ich spiele kein Golf, ich bin noch sexuell aktiv.“


Ich wische den Gedanken und das Konterfei von Franz Beckenbauer vor meinem inneren Auge bei Seite und konzentriere mich auf das Gespräch. Ja, ich bin mir sicher, dass ich ein Händchen für die Neurosen der Premiumkunden habe – die Arztgattinnen, Immobilienmaklerinnen und Yachtbesitzer-Ehepaare. Ein paar Straßen weiter habe ich noch vor einigen Wochen so manchen von Ihnen die passenden Luxuskarossen mit Stern übergeben und dabei verzweifelt versucht, Navigation und Mobiltelefonverbindung Leuten zu erklären, die nicht einmal den Temperaturregler ihrer Klimaanlage verstehen.

Egal, ich bin frohen Mutes und lasse mir den Turnierbuchungsplan und die Tagesbelegung des Platzes erklären. Es gibt Kunden wie Harry, die könnten sich jeden morgen von ihrem PC aus eine Startzeit für eine Platzrunde, den sogenannten flight, buchen – theoretisch. Das empfiehlt sich, weil es einfach, reibungslos und schnell geht. Aber nicht mit Harry. Der möchte sich lieber jedes Mal auf's Neue das System von den zumeist jungen Counter-Aushilfen weiblicher Natur erklären lassen, um dann – charmant, charmant – doch die Startzeit manuell eintragen zu lassen. Hauptsache der Flirt am Tresen dauert lange genug, denn Harry hat zwar Zeit und Geld – auf beides muss das Mädel am Empfang leider größtenteils verzichten - aber verdammt alleine ist er auch.




In der Schrankküche im hinteren Bereich bereiten wir kleine Snacks zu, sagt Daniel M: belegte Aufbackbrötchen, Bockwurst, Pizza-Teilchen...Unglaublich, was die Kundschaft für einen schlechten Geschmack hat, denke ich bei mir. Die Zutaten sind von der billigsten Sorte, aber die so-tun-als-ob-Bohemiens schaufeln sich die tiefgekühlte Currywurst rein, als sei Weihnachten. Geld und Gusto fallen halt selten zusammen vom Himmel.
Apropos tiefgekühlte Currywurst und nur so zum gemeinsamen Verständnis: Da sind die maschinell zerteilten Formwürste bereits mit der fertigen Curry-Ketchup-Substanz einzeln ummantelt. In der Mikrowelle wird daraus dann ein optisch einwandfreier Imbissfraß. Aber das nur am Rande.

Daniel M. Hat jetzt keine Zeit mehr. Zwei seiner regelmäßigen Mitspieler sind schon an Loch 1 und er muss sich sputen. Alles weitere werde ich von seiner Kollegin, der Clubsekretärin erfahren, ruft er mir noch zu. Dann ist er raus. Ich blicke über DAS Grün vor dem Fenster, trinke meinen Café Latte aus und nehme meine Barbour-Jacke vom Hacken. Ein letzter Blick fällt auf die prominent besetzte Liste für das Preisturnier am Wochenende. Dem Gewinner winkt ein Startplatz bei einem Turnier in Katar - also dort, wo das Grün quasi zu Hause ist.

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